Abseits der Straße bestimmt der Gesang der Vögel die Akustik: „Askdere“ – Liebestal –
nennen die Bewohner Kappadokiens diese Schlucht und die Assoziation wird einem augenblicklich klar:
bis zu 30 m hoch ist mancher überdimensionaler Phallus aus Stein, den die Natur hier einen neben den
anderen erschaffen hat, umschwirrt von Vögeln und umrankt von Wein; ein paradiesisches „Liebestal“.
Nur wenige Kilometer entfernt liegt der Töpferort Avanos.
Seit Generationen bestimmt das Töpferhandwerk das Leben seiner Bewohner. Wir sind eine kleine Reisegruppe:
Töpfer und Hobbytöpfer wollen Kappadokien kennenlernen und vor allem das unter deutschen Töpfern noch völlig
unbekannte Töpferzentrum Avanos.
Dort treffen wir auf einen dieser zahlreichen Virtuosen an der Töpferscheibe, umringt von einer
Busladung lärmender Japaner. Kraftvoll und doch elegant zentriert er seinen Klumpen Ton, drückt
ihn zur Mitte zusammen und zwischen seinen Händen erwächst eine Art Kegel, den wir in steinerne Form
erst vor ein paar Stunden im Liebestal bestaunt hatten.
Wir versuchen dem touristischen Spektakel zu entkommen und entdecken eine kleine Werkstatt ganz abseits.
Hier wird nicht gedreht, hier drängen sich keine Zuschauerhorden durch das Atelier. Erdogan Gülec steht
vor einer Holztafel und modelliert Unmengen von Ton zu einem Relief. Leise anatolische Gitarrenmusik
schwebt durch den Raum und vermischt sich mit dem Duft dampfenden Tees und irdenen Tones. Er hat wieder einen
neuen Auftrag erhalten. Vor ihm liegt aufgeschlagen ein Buch über antike Mosaiken in Kleinasien. Im Maßstab 1:1
hat ein Hotelier aus Istanbul diese Kopie zur Verschönerung seiner Rezeption bestellt. Erdogan war einer der
ersten hier in Avanos, die mit der Herstellung großflächiger Wandreliefs nach historischem Vorbild begannen.
Mittlerweile ist sein Name in der ganzen Türkei bekannt, nur Touristen verirren sich selten in sein altes
Tuffsteinhaus oberhalb der Altstadt.
Man weiß, dass bereits die Hethiter etwa 1500 v.Chr. am Roten Fluss siedelten, und aus dessen tonhaltigen
Ablagerungen hochwertige Töpferwaren herstellten. Noch heute gelten die komplizierten Schnabelkannen aus
jener Zeit zu den schwierigsten Drehformen des Töpferhandwerkes. Seit über 3000 Jahren werden in den Höhlen
und Tuffsteinhäusern entlang des Flusses diese Kenntnisse und Fähigkeiten des Töpferns von einer Generation
an die nächste weitergegeben. Noch vor 20 Jahren gab es in Avanos über 300 Töpferfamilien, in denen jeder
männliche Nachkomme das Handwerk lernen musste. Die industrielle Fertigung hat viele Familien arbeitslos
gemacht und so findet man heute noch einige hundert Töpfer, die mehr schlecht als recht ihren
Lebensunterhalt mit Gebrauchskeramik oder Souvenirs für den Tourismus verdienen. Aus einigen
Töpfern sind aber auch inzwischen international anerkannte Künstler geworden und sogar ausländische
Keramiker haben sich in einigen dieser Höhlen niedergelassen: da arbeiten kanadische, niederländische,
japanische und türkische Töpfer und Töpferinnen Seite an Seite. Weltweit bestehen Verbindungen zu anderen
Töpfereien und Kunstkeramikern.
Kappadokien ist bekannt durch seine einmalige Vulkanlandschaft. 1,7 Millionen Besucher zählte man 2007.
Allerdings kamen die meisten nur kurz auf eine Stippvisite von der Küste herauf gefahren ohne zu wissen,
in was für eine Wunderwelt sie da gerieten. Gäste, die sich längerfristig für dieses UNESCO Weltkultur-
und Naturerbe interessierten, blieben dabei in der Minderzahl. Dass sich in Kappadokien ein
traditionsreiches Töpferzentrum befindet, das in Europa ihresgleichen sucht, blieb unter Töpfern
ein Insidertipp und dem normalen Touristen völlig unbekannt.
Vulkane schütteten vor geologisch noch nicht einmal langer Zeit gesehen, etwa 1 Million Jahre,
eine gigantische Tuffsteinschicht über Kappadokien auf. An den Rändern dieser Schichten fraßen sich der
aus Ostanatolien kommende größte Fluss Kleinasiens, Kizilirmak, der Rote Fluss, und andere kleinere Rinnsale
in das lockere Gestein hinein und formten eine der skurrilsten Landschaften der Erde. Der Tuff ist porös,
leicht zu behauen und er schützt vor Kälte und Hitze. Das nutzten schon die Hethiter und bauten sich komfortable
Wohnhöhlen. Ganze unterirdische Städte entstanden später für tausende von Menschen. Die ersten Christen vor 2000
Jahren liebten die Abgeschiedenheit Kappadokiens und kratzten verzweigte Klosteranlagen und hunderte von
Kirchen in die bizarren Felsformationen. Und sie schmückten ihre heiligen Stätten mit wertvollen byzantinischen
Fresken, die in der Dunkelheit der Höhlen für 1000 Jahre vergessen waren, an Farbenpracht kaum eingebüßt haben
und heute Weltkulturerbe sind.
Erdogan bringt uns zu der Werkstatt seines Freundes Hakan. Wieder stehen wir in einer der kühlen
Höhlen und hier finden wir ausreichend Gelegenheit, uns in aller Ruhe die traditionelle Töpferscheibe anzusehen.
Wie schon zu Urzeiten ist das Schwungrad im Boden verankert. Darauf sind mit Ton verklebte Keramikröhren zu
einer Welle übereinander montiert, welche den Scheibenkopf auf Arbeitshöhe bringen. Dieser hat einen maximalen
Durchmesser von 15 cm und besteht vieler Orts immer noch aus einem flachen Stein, der mit Ton einfach an die
Welle geklebt wurde; eine mehr als wackelige Angelegenheit, was äußerstes Feingefühl erfordert.
Der erste Freiwillige aus unserer Gruppe wagt sich an die ungewohnte Konstruktion heran. Er setzt sich
breitbeinig dahinter auf eine Bank, tritt das Schwungrad mit dem Fuß an, erst zaghaft, dann kräftiger tretend.
Schließlich verliert er so mit den Beinen wedelnd und ohne Halt das Gleichgewicht und das Schwungrad sofort
an Geschwindigkeit. Schmunzelnd greift Hakan dem Aspiranten unter die Arme, bzw. ersetzt ihm die Beine,
indem er die wacklige Maschinerie mit gezielten Tritten auf Touren bringt. Der Kopf macht dabei beängstigende
Schlenker und das Zentrieren, zumindest für den Ungeübten zu einem Glücksspiel mit zweifelhaftem Ausgang.
Hakan will uns zeigen, dass das doch gar nicht so schwierig ist und dreht in Minutenschnelle eine komplette
Teekanne mit Griff, Tülle und Deckel und setzt alles noch feucht zusammen – „Fertig!“, grinst er.
Auch ohne „Phallusnummer“ beim Zentrieren ist das staunende Publikum begeistert. Das war auch der Sinn
der Übung und die Teekanne landet zum Entsetzen der Touristen im Schlickereimer.
Hier in weniger exponierter Lage laufe das Geschäft nicht so gut“, klagt
uns der Meister sein Leid. Das eigentliche Geschäft, von dem er und sein Bruder
leben können, spielt sich vor den Toren der Stadt ab. Dort will er uns dann morgen hinführen.
Als wir morgens um neun Uhr im „Gewerbegebiet“ von Avanos ankommen, hat die Sonne schon wieder ihre
volle Kraft erreicht. Die Luft ist staubig, und während ein mit Töpfen beladener Lastwagen die Piste
zwischen trostlosen Betonhütten entlang rast, gehen wir, Mund und Nase zuhaltend in Deckung. Hakan führt
uns in eine dieser wenig romantischen Zweckbauten. Nur ein paar nackte Glühbirnen sorgen für eine mangelhafte
Innenbeleuchtung. Hier drehen Muskel bepackte und Ton verschmierte Männer die großen, und aus mehreren Teilen
bestehenden klassischen anatolischen Vorratsbehälter im Akkord. Trotz des schmalen Fußes sind einige bis zu
eineinhalb Meter hoch. Keine Stelle in diesem Raum, die nicht mit Tonspritzern überdeckt ist. Ständig
müssen wir den Arbeitern auf den engen Gängen ausweichen, die mal wieder einen dieser gigantischen Töpfe
auf kleinen Rollwägen nach draußen in die anatolische Sommerhitze schleppen, bei 20% Luftfeuchtigkeit ist
eine Trockenkammer überflüssig. Hakan zeigt stolz auf einen Überseecontainer, der vor der Werkstatt steht.
Was hier produziert wird, erklärt er uns, geht in alle Welt hinaus. Diese historischen Vorratsbehälter kauft
kein Mensch mehr in der Türkei, aber woanders seien seine Waren als Garten- oder Hausdekorationen sehr gefragt.
Wir sollen am Abend wieder kommen und dann könnten wir beim Brennen in einem der haushohen Öfen zuschauen.
Es ist schon dunkel, als wir den Ort des Geschehens erreichen. Auch Erdogan ist da und hat zur Feier des Tages
eine Flasche Löwenmilch, den allseits beliebten Raki, mitgebracht. Vor dem Ofen arbeitet Hakans Bruder im wahrsten
Sinne des Wortes im Schweiße seines Angesichts: nur einen Meter von der Feuersbrunst im Innern entfernt hockt
Mehmet mit tief ins Gesicht gezogener Schirmmütze und füttert im Sekundentakt die Flammen mit Strohhäcksel,
das schon in der Luft verglüht. Ein Helfer sorgt mit seiner Forke dafür, dass immer genug Material griffbereit
um Mehmet herumliegt; fast versinkt er im weichen Stroh. Schließlich gibt Hakans Bruder einen Hinweis, dass
er abgelöst werden will. Als er sich zu uns auf den Boden setzt, unterscheidet sich seine Gesichtsfarbe nicht
sonderlich vom Glanze der Ofenglut; nur die Stirn blieb durch die Mütze unbeschadet. Der aus Tuffsteinquadern
gemauerte Ofen hat einen Grundriss von etwa 4 x 4m. Im Erdgeschoss wird das Feuer geschürt und im Obergeschoss
liegen die getrockneten und nicht glasierten Töpfe scheinbar wild durcheinander, aber mit System, wie man uns
versichert. Immer wieder gibt der Meister Zeichen und dann wird das offene Dach des Ofens mithilfe von Blechen,
Pappen und sogar Tierfellen zu- und wieder aufgedeckt. Einen Abzug gibt es nicht, die Rauchgase werden durch
die Töpfe hindurch nach oben geleitet. Schließlich bittet Mehmet um Ruhe und eine erwartungsvolle Stille
umgibt den leise knisternden Ofen. Plötzlich knackt es fürchterlich aus dem Innern. Wir zucken zusammen, aber
der Meister beruhigt uns. „Ganz normaler Ausschuss“ sagt Erdogan. In dieser Nacht sollte uns noch so manch
unangenehmes Knacken zusammenfahren lassen. Nach vielen Stunden Arbeit lassen sich alle erschöpft im noch übrigen
Stroh fallen. Erdogan bereitet über einer Schaufel Glut einige leckere Lammspieße zu, dazu gibt es Brot, Salat
und natürlich Löwenmilch, die uns später ein wenig Katzenjammer bereitet. Als wir gehen, kommt die Sonne
bereits glutrot über die Kappadokischen Berge und ausgeschlafene Nachbarinnen bringen schwatzend einige Krüge,
um die Restglut für heißes Wasser zu nutzen.
Am Nachmittag wollen wir noch einmal in die Stille des Liebestals, mit ihrem Vogelgezwitscher
und ihren unverwechselbaren Felsformen, die eigentlich ganz unverfänglich „Feenkamine“ heißen, weil die
Kappadokier sie für Schornsteine einer unterirdischen Geisterwelt hielten. Nur die Töpfer aus Avanos
wussten es schon immer besser! |








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